OLG Köln: Leistungsausschluss bei Mitwirkungspflichtverletzung des Versicherten

OLG Köln

Urteil v. 19.07.2013 – 20 U 26/11

Berufsunfähigkeitsversicherung: Leistungsausschluss wegen grob fahrlässiger Mitwirkungspflichtverletzung des Versicherten bei Nachuntersuchungsaufforderung

Leitsätze

1. Der Versicherungsnehmer muss der Aufforderung des Versicherers grundsätzlich nachkommen, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, wenn der Versicherer gemäß § 7 BB-BUZ den Grad der Berufsunfähigkeit nachprüfen will.

2. Der Versicherer ist bei grob fahrlässiger Verletzung der Nachuntersuchungsobliegenheit des Versicherungsnehmers berechtigt, die Zahlung der Rentenleistung einzustellen. Dabei beschränkt sich die Mitwirkungspflicht des Versicherungsnehmers nicht darauf, dem Versicherer mitzuteilen, dass er (der Versicherungsnehmer) die ihm vorgeschlagenen Untersuchungstermine nicht wahrnehmen kann. Der Versicherungsnehmer ist  verpflichtet, dem Versicherer etwaige Hinderungsgründe zu benennen und einer Verhinderung des Untersuchungstermins – im Rahmen des Zumutbaren – entgegenzuwirken.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das 29. Dezember 2010 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln ‑ 26 O 132/09 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. 

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Aus dieser Versicherung erbringt die Beklagte seit dem 1. Februar 1988 die bedingungsgemäßen Leistungen. Die Beklagte stellte ab April 1998 die Leistungen ein, weil der Kläger Nachuntersuchungstermine nicht wahrnahm. Dagegen wandte sich der Kläger mehrfach erfolgreich vor Gericht. Mit Schreiben vom 18. März 2005 forderte die Beklagte den Kläger erneut zu einer Nachuntersuchung in der Universitätsklinik Köln auf, wobei sie ihm drei Terminsvorschläge (1. April 2005, 2. Mai 2005 und 9. Juni 2005) unterbreitete. Auf dieses Schreiben, das dem Kläger zuging, das er aber nach seiner Darstellung wegen eines Urlaubs erst am 22. April 2005 zur Kenntnis genommen hat, antwortete der Kläger mit Schreiben vom 22. April 2005, dass er die angebotenen Termine nicht wahrnehmen könne, weil diese „anderweitig schon belegt“ seien. Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf die tatbestandlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Der Kläger hat behauptet, an den von der Beklagten vorgeschlagenen Terminen sei er wegen Urlaubsabwesenheit vom 14. März 2005 bis 21. April 2005 und vom 24./25. April 2005 bis 8. Mai 2005 und wegen einer Vielzahl von geplanten Zahnbehandlungsterminen – der letzte Termin habe am 9. Juni 2005 stattgefunden – gehindert gewesen.

Der Kläger verlangt, nachdem das Landgericht Köln die Beklagte in einem Vorprozess rechtskräftig zur Fortzahlung der Rentenleistungen bis 31. März 2005 verurteilt hat, Rentenzahlungen für die Zeit vom 1. April 2005 bis 31. Dezember 2008 und hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 59.734,50 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Februar 2007;

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.761,08 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 3. Dezember 2008 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Leistungseinstellung auch über den 31. März 2005 hinaus sei berechtigt, weil der Kläger seine Obliegenheit zur ärztlichen Nachuntersuchung verletzt habe.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. Dezember 2010 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe für den streitgegenständlichen Zeitraum keine Ansprüche aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, weil er seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen sei. Das Schreiben der Beklagten vom 18. März 2005 stelle eine wirksame Aufforderung zur Nachuntersuchung dar. Eine Nachuntersuchung habe nicht nur wegen der beim Kläger festgestellten Schwerhörigkeit, sondern auch wegen Tinnitus erfolgen dürfen. Eine formelle Leistungseinstellung sei nicht erforderlich gewesen. Soweit es die angebotenen Termine angehe, habe der Kläger nicht lediglich pauschal eine Verhinderung anführen dürfen; er hätte sich zumindest um eine Verlegung des Zahnarzttermins am 9. Juni 2005 bemühen müssen. Es habe dem Kläger zudem angesichts der konkreten Umstände oblegen, Ersatztermine vorzuschlagen. Dass der Kläger weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt habe, habe er nicht substantiiert vorgetragen.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlich gestellten Anträge in vollem Umfang weiterverfolgt. Er trägt vor, das Nachprüfungsverlangen der Beklagten vom 18. März 2005 sei unwirksam gewesen, weil der Untersuchungsumfang nicht mitgeteilt worden sei. Da die Beklagte seine Berufsunfähigkeit alleine in Bezug auf die bei ihm gegebene Innenohrschwerhörigkeit, nicht aber auch wegen Tinnitus, anerkannt habe, müsse auch eine Nachuntersuchung auf die Innenohrschwerhörigkeit beschränkt bleiben. Eine solche Einschränkung sei in dem Aufforderungsschreiben indes nicht enthalten. Auch eine Untersuchung auf psychosomatischem Gebiet habe die Beklagte nicht verlangen können.

Jedenfalls sei er an den von der Beklagten genannten Terminen verhindert gewesen. Den Termin am 2. Mai 2005 habe er nicht wahrnehmen können, weil er vom 24./25. April 2005 bis 8. Mai 2005 einen Urlaub in Spanien geplant und dann auch durchgeführt habe. Am 9. Juni 2005 habe er einen Zahnarzttermin gehabt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe er sich nicht um eine Verlegung des Termins bemühen müssen. Es dürfe „als unmöglich erscheinen“, den Termin angesichts der Terminslage der Zahnarztpraxis „zu modifizieren“, zumal an diesem Tag 2 Behandlungen (vormittags und nachmittags) vorgesehen gewesen seien. Deshalb könne es ihm nicht als grob fahrlässig angelastet werden, dass er es unterlassen habe, eine Terminsverlegung zu erreichen. Tatsächlich sei eine Terminsverlegung auch nicht möglich gewesen.

Die Beklagte, die die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat gemäß dem Beschluss vom 27. Januar 2012 Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der Zeugin Dr. M. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Äußerungen der Zeugin Dr. M vom 8. März 2012 (Bl. 300 d.A.) und vom 14. Juni 2012 (Bl. 303 d.A.) verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 1. April 2005 bis 31. Dezember 2008 Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zu erbringen. Die Beklagte ist für diesen Zeitraum gemäß § 8 der vereinbarten BB-BUZ (Bl. 72 f. d.A.) leistungsfrei, weil der Kläger grob fahrlässig seiner Obliegenheit, sich ärztlich nachuntersuchen zu lassen, nicht nachgekommen ist. Der Kläger war grundsätzlich gehalten, sich zur Vorbereitung einer Nachprüfungsentscheidung durch die Beklagte einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Das folgt aus § 7 Ziff. BB-BUZ, der lautet:

„Der Versicherer ist berechtigt, den Grad der Berufsunfähigkeit nachzuprüfen. Zu diesem Zweck kann er auf seine Kosten jederzeit sachdienliche Auskünfte und – jedoch nur einmal im Jahr – eine Untersuchung des Versicherten durch einen von ihm beauftragten Arzt verlangen. Die Bestimmungen des § 4 finden entsprechende Anwendung.“

Nach § 4 Ziff. 3 BB-BUZ  kann der Versicherer „ärztliche Nachuntersuchungen durch von ihm beauftragte Ärzte auf seine Kosten“ verlangen.

Die Aufforderung, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, dient der Vorbereitung der Entscheidung, ob der Versicherer weiterhin gemäß seinem Leistungsanerkenntnis die vertragsgemäßen Leistungen zu erbringen hat oder ob er zu einer Leistungseinstellung berechtigt ist. Entgegen der Auffassung des Klägers war die Beklagte nicht gehalten, den Untersuchungsauftrag auf diejenigen Gesundheitsbeeinträchtigungen zu beschränken, die nach seiner Darstellung dem Leistungsanerkenntnis zugrunde gelegt worden sind. Eine solche Einschränkung ist den Versicherungsbedingungen nicht zu entnehmen. Richtig ist zwar, dass das Nachprüfungsverfahren nicht dazu dienen kann, eine Fehleinschätzung des Versicherers beim Leistungsanerkenntnis zu korrigieren. Diese Frage stellt sich jedoch erst im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens, dem die ärztliche Untersuchung vorausgeht; diese soll erst die Grundlage für die Nachprüfungsentscheidung schaffen. Insoweit besteht auch keine Veranlassung, den Untersuchungsauftrag an den Arzt von vornherein zu beschränken. Das lässt sich den einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (VersR 1993, 559 und VersR 1993, 470; vgl. insoweit auch Rixecker in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Aufl., § 46, Rn. 187) nicht entnehmen. Der Versicherungsnehmer ist vielmehr verpflichtet, sich umfassend ärztlich untersuchen zu lassen (Rixecker, aaO; Voit/Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 2. Aufl., Rn. L 30). Auch wenn in den hier vereinbarten Bedingungen das Wort „umfassend“ nicht ausdrücklich aufgeführt ist (wie etwa jetzt in § 13 Abs. 2 BU 2008), ist das Recht, vom Versicherungsnehmer ärztliche Nachuntersuchungen zu verlangen, in § 4 Ziff. 3 BB-BUZ – auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar – in keiner Weise eingeschränkt. Etwas anderes mag ausnahmsweise dann gelten, wenn feststeht, dass sich der zur Berufsunfähigkeit führende Gesundheitszustand nicht verändert hat oder unveränderbar ist (vgl. insoweit OLG Bremen, Urt. v. 22. August 2011 – 3 U 12/11 -, in juris dokumentiert [auch dazu, dass die entsprechenden Bedingungen nicht gegen § 307 BGB verstoßen]). Dazu fehlt vorliegend jeder Anhalt.

Richtig ist auch die Auffassung des Landgerichts, dass an die Aufforderung zur Nachuntersuchung keine besonderen formalen Anforderungen zu stellen sind. Das sehen die Bedingungen – anders als gemäß § 7 Ziff. 2 BB-BUZ bei der Nachprüfungsentscheidung – nicht vor.

Der Obliegenheit, sich ärztlich nachuntersuchen zu lassen, wird ein Versicherungsnehmer gerecht, wenn er einen vom Versicherer vorgeschlagenen Untersuchungstermin wahrnimmt. Ist ihm dies nicht möglich, ist er jedenfalls gehalten, dies dem Versicherer unter Angabe der Hinderungsgründe alsbald mitzuteilen. Darüber hinaus muss sich der Versicherungsnehmer zumindest dann, wenn – wie vorliegend – die Durchführung einer Nachuntersuchung in der Vergangenheit mehrfach (wenn auch ohne sein Verschulden) gescheitert ist und der Versicherer zudem Alternativtermine angeboten hat, im Rahmen des Zumutbaren bemühen, einer Verhinderung entgegenzuwirken. Dahingestellt bleiben kann, ob der Kläger vorliegend von sich aus einen anderen, zeitnahen Termin hätte vorschlagen müssen. Jedenfalls hätte er versuchen müssen, eine Verlegung des auf den 9. Juni 2005 angesetzten Zahnarzttermins bei der Zeugin Dr. M zu erreichen, was er unstreitig nicht getan hat. Der Kläger hat nach eigener Darstellung von dem Aufforderungsschreiben der Beklagten vom 18. März 2005 am 22. April 2005 Kenntnis erlangt; zu diesem Zeitpunkt war noch ausreichend Zeit, mindestens den Versuch einer Verlegung des Zahnarzttermins am 9. Juni 2005 zu unternehmen. Dies hätte auch dem Kläger in der konkreten Situation ohne weiteres einleuchten müssen. Die damit anzunehmende Obliegenheitsverletzung war jedenfalls grob fahrlässig. Grobe Fahrlässigkeit wird nach § 8 BB-BUZ Satz 1 (s. ferner § 6 Abs. 1 VVG a.F.) vermutet. Es ist Sache des Versicherungsnehmers, Umstände darzulegen und zu beweisen, die es rechtfertigen, kein für die Nichtdurchführung der Nachuntersuchung ursächliches grobes Fehlverhalten anzunehmen. Solche Umstände stehen nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme nicht fest, was sich zu Lasten des Klägers auswirkt. Die Zeugin Dr. M hat auf konkrete Nachfrage des Senats, ob der auf den 9. Juni 2005 angesetzte Termin zu verlegen gewesen wäre, wenn der Kläger am 22. April 2005 darum gebeten hätte, bekundet, sie könne heute nicht mehr sicher sagen, wie sie sich damals verhalten hätte. Hingewiesen hat sie lediglich darauf, dass der Kläger die Versorgung vor seinem Urlaub hat abschließen wollen und dass ein Abweichen vom Terminplan es nicht mehr ermöglicht hätte, den Zahnersatz rechtzeitig einzusetzen. Damit sind indes weder Gründe, die aus zahnmedizinischer Sicht eine Verlegung des Termins am 9. Juni 2005 nicht erlaubt hätten, dargelegt, noch ist etwa dargetan, dass eine Verlegung aus praxistechnischen Gründen (etwa weil keine Alternativtermine mehr vergeben werden konnten) nicht in Betracht gekommen wäre. Vielmehr schließt die Angabe der Zeugin, sie könne nicht mehr sagen, wie sie sich bei einer entsprechenden Bitte verhalten hätte, nicht aus, dass eine Terminsverlegung möglich gewesen wäre. Das geht zu Lasten des Klägers. Soweit ein nach dem 9. Juni 2005 anstehender Urlaub in Rede steht, hat der Kläger erstmals in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat vortragen lassen, er habe vom 10. bis 17. Juni 2005 einen Urlaub in Holland gebucht. Dieses – bestrittene – Vorbringen ist verspätet (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO). Unabhängig davon ist nicht dargetan, dass der Termin vom 9. Juni 2005 nicht auf den 7. Juni 2005 (Dienstag) oder auf den 8. Juni 2005 (Mittwoch) hätte vorverlegt werden können.

Die somit anzunehmende grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung des Klägers führt zur Leistungsfreiheit für den streitgegenständlichen Zeitraum.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Berufungsstreitwert: 59.734,50 €

 

Quelle:

Entscheidungsdatenbank des Landes Nordrhein-Westfalen / nrwe.de